
Die erste Bekanntschaft mit dieser Stadt, dem Zentrum des Grodnoer
Gebietes, die wie ein Wдchter an der Westgrenze von Belarus steht und
mehr als 300 000 Einwohner zдhlt, macht man am besten an der
Stelle in der Schloяstraяe (Samkowaja uliza), wo eine Brьcke zwei
Schlцsser verbindet, die zwei ehemaligen Kцnigspalдste: das Alte
und das Neue Schloя. Hier, am steilen Ufer des Njoman (Grodno hat
einen Fluяhafen), bietet sich ein ausgezeichnetes Panorama: Man kann
von hier beide Ч vom Fluß getrennte Ч Stadtteile überblicken.
Sowohl vom Alten Schloя, als auch vom Neuen Schloя kann man
wunderbar die alterwьrdige Kirche sehen, die die Grodnoer ЂKaloshaї
nennen.
In der zweiten Hдlfte des XII. Jahrhunderts erbaut,
wurde sie zunдchst Borisoglebskaja genannt (zu Ehren der heiligen Mдrtyrer
Boris und Gleb, die auf verrдterische Weise von ihrem Bruder gettet
wurden), spдter dann allmдhlich Kaloshskaja. Heute ist sie ein
sichtbarer Beweis dafьr, daя im alten Grodno (in Chroniken Goroden,
Gorodnja) eine originale Schule der Kunst und Architektur existiert
hat. Das beweisen auch die Majolika-Arbeiten, die bunten Steine, die
geschmackvoll in den Wдnden eingearbeitet worden sind, und die
golosniki (von Ђgolosї Stimme), hohle Steine aus Ton, die wundervoll
jedes Wort, sogar, wenn es geflьstert wurde, wiedergaben. Sie wurden
mit mathematischer Genauigkeit in die Wand eingebaut, so daя die
ganze Kirche gleichsam atmete und redete...Die Kalosha ist nicht
vollstдndig erhalten geblieben; ein Teil von ihr wurde zerstцrt, ein
Teil stьrzte bei einem Hochwasser in den Njoman .
Eine ebenso schцne Kirche war, wie Ausgrabungen
beweisen, die Untere Kirche (Nishnjaja zerkow).
Reste von ihr sind auf dem Gebiet des Alten Schlosses erhalten, an der
Stelle, wo heute ein Museum ist.
Sie steht in der Siedlung, die noch im X.
Jahrhundert bekannt war. Zur Zeit der Errichtung der Borisoglebskaja
zerkow wurde sie zur Festung ausgebaut.
Die Mauern dieser Festung hielt man noch im XIII. und XIV. Jahrhundert
fьr uneinnehmbar, was die Kreuzritter, die viele Male hierher kamen,
um die reiche Kulturstadt einzunehmen, nicht nur einmal bezeugen
konnten.
Allerdings konnten die Eroberer im Jahre 1284, als sie zum ersten Mal
Grodno ьberfielen, die Stadt einnehmen. Freilich nicht mit Gewalt,
wie unsere Legenden erzдhlen: Zwei Brьder vom Stamm der baltischen
Preuяen (dieser Stamm wurde spдter von den Kreuzrittern vцllig
vernichtet, aber zu der Zeit. von derwir berichten, existierte er noch
und suchte die Unterstьtzung der benachbarten Slawen) halfen den
Kreuzrittern, indem sie ihnen in der Nacht die Tore цffneten...
Spдter jedoch, als hier Fьrst Dawyd Gorodenskij lebte, endeten alle
Bemьhungen der Eroberer ohne Erfolg.
Dawyd Gorodenskij steht in der Reihe der
belorussischen Ritter vielleicht Wseslaw am nдchste n, dem mдchtigen
Polozker Fьrsten. Sein Kriegstalent wurde frьh gerьhmt und machte
ihn auf den Gebieten der Slawen Ч und später auch in Deutschland
Ч berühmt. Der Großfürst Gedimin (er kam 1341 im Krieg gegen die
Deutschen ums Leben), schдtzte Dawyd sehr hoch und gab ihm seine
Tochter Birita zur Frau. №brigens gehцrten zu den Schwiegersцhnen
bzw. Schwдgern Gedimins der polnische Kцnig Kasimir der Groяe, der
Moskauer Fьrst Simeon Gordyj (der Stolze) und der Twerer Fьrst
Dmitrij... Fьr diplomatische Verhandlungen und fьr militдrische
Ratschlдge lud der Groяfьrst vor allem Dawyd zu sich ein, der nicht
umsonst ЂGorodenskiJї genannt wurde, weil er der Stadt Grodno zu
hohem Ansehen verhalf... Dawyd antwortete als Reaktion auf die Einfдlle
der Deutschen mit Kriegszьgen nach Brandenburg und Frankfurt an der
Oder. Und am Ende wurde er von niemandem geschlagen.Ч außer von
einem slawischen Ritter, dem Polen Andrej Gost. der ihn auf verrдterische
Weise von hinten in seinem Marschzelt umbrachte ...
Groяfьrst Witowt . der Grodno im Prinzip zur zweiten Hauptstadt des
Litauischen Groяfьrstentums machte, muяte hier. in dieser Festung,
vieles erdulden. Hier verbrannte er beinahe mit seiner ganzen Familie
wдhrend einer groяen Feuersbrunst, hier widerstand er der Belagerung
des kцniglichen Heeres, das von seinem Vetter Jagajia angefьhrt
wurde. (Wir sollten noch einmal daran erinnern, daя es jener Jagajia
war. der in der Festung Krewo Witowts Vater, Fьrst Kejstut,
umbrachte, wдhrend sich Witowt mit einer List aus dem Schloя retten
konnte.) Jagajia eroberte mit einer Kriegslist das Schloя, aber nach
einiger Zeit versцhnten sich trotzdem die Brьder und unterschrieben
die Ostrauer №bereinkunft.
...Man kann sich das Schloя zu jenen Zeiten leicht
vorstellen: mдchtige Steinmauern von ungefдhr drei Metern Dicke, fьnf
Tьrme, von denen Tag und Nacht bewaffnete Krieger das umliegepde
Territorium ьberwachten, weil alle in diesem Landstreifen wie in
einem Grenzgebiet lebten...Witowt lebte hier lange Jahre, und die Frau
seines Vetters, des Kцnigs Jagajia, Sophia Golschanskaja, schwor hier
in Grodno dem Sejm. daя ihre Sцhne von dem alten Kцnig gezeugt
worden seien, entgegen Witowts Verleumdungen. Politik ist eine schwierige Sache, und die
Zwistigkeiten Witowts und Jagajias sind in die Geschichte
eingegangen...
Ein weiterer Kцnig. Stefan Batorij. wдhlte Grodno zu seiner
Residenz, vielleicht deshalb, weil das hier ein wirklich auяergewцhnlich
schцner Platz und die Lage der Stadt bequem war. Mit Anna Jagelonka,
der Schwester des letzten Jagellonen. verheiratet, lebte er hier. wo
er am 12. Dezember 1586 starb; die Legende spricht von Gift, das ihm
von seinen Rivalen gegeben wurde...Hier starb noch ein weiterer Kцnig.
Kasimir Jagellontschik (1427Ч1492), derЧwie auch alle anderen
Jagellonen Ч gleichzeitig litauischer Großfürst war. Das bezeugt,
welchen Stellenwert diese Stadt in der Geschichte des Groяfьrstentums
Litauen-Ruяland-Shemojtskoje hatte. Unter Kasimir Jagellontschik
wurde das Alte Schloя umgebaut, auch Witowts Palast und die Wehrtьrme.
Der neue Palast wurde kein asketisch-strenges Verteidgungsgebдude,
sondern ein wirklicher Kцnigspalast. Nicht zufдllig baute der
Italiener Scotto aus Parma den Palast. Und dennoch war auch Kцnig
Batorij (der im Volk Stefan Batura genannt wurde) gezwungen, das Leben
eines Kriegers zu fьhren. Daher waren im Schloя so starke, fьr die
Verteidigung vorgesehene Mauern. Die Zimmer des Kцnigs im zweiten
Stock waren mit kunstvoll bearbeiteten Steinen und Kacheln verziert,
und der Boden war mit Kacheln aus Keramik und Marmor ausgelegt. Das
Tor war aus Eisen, und die Brьcke war hochziehbar. Das Schloя war in
der Tat unzugдnglich.
Batorij, der Wojewode in Siebenbьrgen war und Kцnig eines groяen
Staates aufgrund einer Dynastie-Heirat wurde, war ein gebildeter
Mensch: Er absolvierte die Universitдt von Padua, grьndete die
Jesuitenschule in Polozk und die Akademie in Wilnja. Doch er war
gezwungen. Kriege zu fьhren: Der Livlдndische Krieg, in den das
Litauische Groяfьrstentum hineingezogen wurde, zog ьber ganz
Belarus hinweg.
Schmerzlich wirkte er sich auf Polozk aus, dessen Verluste sehr hoch
waren. Der Krieg um Polozk gegen den Moskauer Zaren Iwan den
Schrecklichen vernichtete die Kulturschдtze dieser alterwьrdigen
Stadt.
Bei Grodno war ein Berg. der im Volk Batorowaja hieя. weil dort
Batorij Wisente und Bдren jagte, von denen es in der damaligen Zeit
eine Menge gab. Es sind auch №berlieferungen ьber den Krieg
erhalten, den er gegen Moskau fьhrte, nur sind oftmals reale
historische Personen mit mдrchenhaften Gestalten miteinander
verwoben. Auch das Schloя in Grodno ist erhalten, und es ist eng mit
jener historischen Periode unseres Landes verbunden, als Stephan
Batorij Kцnig war.
Heute ist hier ein Heimatmuseum, in dem viele interessante Exponate
zusammengetragen worden sind: alte Kanonen, die im Njoman gefunden
wurden. Panzerhemden von Rittern und ein Schwert, das Herbarium der
bekannten Schriftstellerin Elisa Oshetschko, die hier viele Jahre
lebte und auch hier starb, nachdem sie viele Bьcher geschrieben
hatte, die ьber Belorussen erzдhlen, die ЂHiesigenї. Hier sind
auch die berьhmten Glaswaren zu sehen, die in Grodnoer Werken
hergestellt wurden, sowie Zeugnisse ьber die verschiedenen Abschnitte
unserer Geschichte.
Und wдhrend wir durch seine Sдle gehen, wollen wir
zum Anfang zurьckkehren und ьber das andere Schloя erzдhlen, das
gegenьber liegt.
Dieser Kцnigspalast wurde von den Dresdner Architekten M. D. Pцppelmann,
l. H. Euchom und J. F. Knobel von 1734 bis 1751 erbaut, und zwar an
der Stelle des Unteren Schlosses, das noch zu Lebzeiten Witowts
existierte.
Dieser Palast ist mit dem Namen Stanislaus Augusts verbunden, des
letzten Kцnigs der Rzeczpospolita, der ein Gьnstling der russischen
Zarin Katharina II. war.
Hier trat auf Beschluя des Kцnigs 1784 der Sejm zu seiner
Herbstsitzung zusammen, zum erstenmal in den Jahren der Regentschaft
dieses Kцnigs. Die Magnaten des Litauischen Groяfьrstentums gaben
ihr Einverstдndnis, ihre persцnlichen Schulden zu bezahlen, und
daher wurde im Beloweshja-Gebiet eine ausschweifende Jagd auf Wisente
veranstaltet, und beim Aufbruch des kцniglichen Gefolges nach Grodno
war gleichsam eine symbolische Verbrьderung Polens mit Litauen
(Belarus) das Ergebnis. Wie sich Zeitgenossen erinnern, vergnьgte man
sich am meisten in Neswish.
Wдhrend des Grodnoer Sejms lebte man in diesem Palast sehr luxuriцs:
Hier waren Sдle, in denen bis zu siebenhundert Menschen tafeln
konnten, es wurden Maskenbдlle veranstaltet, und im Wintergarten gab
es eine Menge exotischer Pflanzen und Obstbдume. Und dies alles fand
in einer Zeit des Zerfalls des Landes statt, bei einer fast leeren
Staatskasse! Dafьr dachte vielleicht gerade hier, im Palast von
Grodno, Stanislaus August in den letzten Monaten seiner Herrschaft
viel ьber das Schicksal des Staates und seines Volkes nach: Er ging
oft in die nahegelegene Kirche, betete dort und lebte ziemlich einsam
unter den Blicken miяgьnstiger Augen. Einen zarten Schatten spьrt
man auch heute gleichsam in diesem herrlichen Palast, dem Zeugen des
Hochmuts der Magnaten und des Zerfalls der Pracht, von der ein
bedeutender Teil abbrannte und erst nach dem letzten Krieg
wiederhergestellt wurde.
Vielleicht erinnerte sich Stanislaus August an einen Freund aus seiner
frьhen Jugend, mit dem er zusammen in Woltschino (heutiges Brester
Gebiet) aufwuchs. Antonij Tysengaus, seinen frьheren Minister und
Berater am litauischen Hof.
Tysengaus gelang es, sich in Grodno weitaus mehr in
Erinnerung zu halten, als es seinem Kцnig und Freund aus
Kindheitstagen gelang: In allen Nachschlagewerken und Beschreibungen
der Stadt wird an die von ihm gebauten Hдuser und Fabriken erinnert,
und auch an die zwei Siedlungen, die als Resultat seiner rastlosen Tдtigkeit
entstanden, Lososno und Gorodniza.
In der Tat, in 15 Jahren baute dieser Mensch in
und seinen Siedlungen dreiundzwanzig Fabriken, in denen Stoffe und Spitze hergestellt wurden.
Teppiche und Gьrtel, die die Angehцrigen des polnischen Kleinadels
so gern trugen. Glaswaren und Kutschen; alle diese Sachen wurden ьberall
in der Rzeczpospolita verkauft. Heute stehen noch in der Hauptstraяe
der Stadt Hдuser, die von ihm fьr Handwerker und Arbeiter seiner
Fabriken errichtet wurden...
Aber dieser Mensch, der davon trдumte, Grodno
gewissermaяen in ein Neu-Holland zu verwandeln, wandte barbarische
und absolutistische Methoden an, wenn er beispielsweise die bereits
aus der Leibeigenschaft entlassenen Menschen quasi wieder zu
Leibeigenen machte oder Kinder von ihren Eltern wegnahm, um aus ihnen
unter Zwang benцtigte Spezialisten zu machen. Paradox ist sein
Schicksal dadurch, daя man mit dem allmдchtigen Tysengaus selbst
ganz genau so auf barbarische Weise umging: Als man auf Befehl des Kцnigs
Antonij seiner Pflichten entband (der Kцnig war inzwischen von den
Magnaten dazu gebracht worden, eine feindliche Haltung ihm gegenьber
einzunehmen, weil er die Interessen der Magnaten berьhrte),
behandelten ihn seine Feinde wie einen Staatsverbrecher und trachteten
danach, ihn zu verurteilen. Als man sein Vermцgen beschlagnahmte, muяte
sich dieser einst mдchtigste Mensch in der Stadt im Jesuiten-Kolleg
verstecken.
Die Umgebung der Stadt und die Siedlungen von Tysengaus werden wir spдter
besichtigen. Einstweilen wollen wir uns den Kirchen zuwenden, die das
historische Stadtzentrum umgaben und Teil ihres Verteidigungssystems
waren.
Natьrlich ist nicht
viel davon ьbrig geblieben. Kirchen sind verschwunden: die
Voskresenskaja zerkow (Auferstehungskirche), die Nikolajewskaja
zerkow. die Simeonowskaja zerkow, die Troizkaja zerkow
(Dreifaltigkeitskirche), die zerkow Tschestnogo kresta (Kirche des
aufrichtigen Kreuzes)... Auch das Rathaus mit den
Ladenreihen, die nach dem zweiten Weltkrieg zerstцrt wurden, ist
nicht erhalten, die Witowt-Kirche...
Und doch waren sie alle hier, nicht weit von den
beiden Schlцssern entfernt. Aber einen Teil dieser verflossenen Schцnheit
kann man trotzdem auch heute noch sehen: Es gibt noch die Farnyj
(Pfaro-) zerkow, die Bernardinskij. Franziskanskij, Brigitskij u.a..
bei denen sich seiner Zeit Klцster befanden. Aber indem wir sie
aufsuchen Чvorbei an Wassertürmen, die um die Wende zum XX.
Jahrhundert gebaut wurden und in deren Nдhe einst der berьhmte
Fischmarkt abgehalten wurde.Ч wollen wir vor allem zu dem ehemaligen
Grodnoer Kloster der Basilianer gehen, das zwischen 1720 und 1751 im
Barockstill erbaut wurde. Die Basilianerwaren ein unierter Orden, und
deshalb erfreuten sich das Kloster und seine Kirche im XVIII.
Jahrhundert, als der grцяte Teil der Bevцlkerung des Groяfьrstentums
Litauen der unierten Kirche angehцrte, groяer Verehrung und regen
Besuchs.
In den siebziger und achtziger Jahren, als man daran ging, ein Landesmuseum fьr Atheismus und die Geschichte der Religion
zu schaffen, konnte man hier groяe Mengen zerbrechlicher Gebeine von
Frauen entdecken.
Diese Frauen hatten einst beschlossen, sich Gott zu
weihen, und sie wurden hier, im Kloster, begraben .
Mit ihren sterblichen Überresten ist man sehr behutsam umgegangen,Ч
unser neues Denken hat sich vor allem durch die Achtung des
menschlichen Lebens, der sterblichen №berreste der Gestorbenen und
Gefallenen bewдhrt. Es ist dem Schriftsteller Aleksej Karpjuk und
seinen groяen Bemьhungen zu verdanken, daя hier seiner Zeit ein
Museum entstand.
Das Basilianer-Kloster wurde von dem Architekten l. Fontana erbaut. Zu
dem gesamten Gebдudekomplex gehцren die Kirche Christi Geburt
(zerkow Roshdestva Christowa), der Glockenturm, das Haus des Abtes und
Wirtschaftsgebдude. Nicht erhalten geblieben ist die Grodnoer
Pretschistenskaja zerkow. doch legen ihre №berreste beredtes Zeugnis
ьber den hohen kьnstlerischen Wert des Gebдudes ab. waren in ihr
doch u.a. hцchst kunstvolle Kacheln.
Und weiter gehen wir die Schloяstraяe entlang in Richtung des
Platzes. Doch zuvor lohnt es sich, an dem Haus Nr. 16 zu verweilen und
nach Betreten des Hofes dieses wundervolle Haus anzuschauen, die
Stukkaturarbeiten der Blumengirlanden, die Fenster mit ihren eigentьmlichen
Einfassungen. Der Baustil des Hauses ist klassizistisch, aber uns ist
es sicherlich auch interessant, ist es als ein einfaches Wohnhaus zu
betrachten, in dem sich so, wie es schon in den vergangenen
Jahrhunderten der Fall war. das Leben mit all seinen Sorgen abspielt.
Hier, in der Schloяstraяe, ist es an den Abenden still und besonders
gemьtlich, wenn die alten Steine und Gebдude gleichsam zu Leben
erwachen... Hier findet man noch schmiedeeiserne Gitter aus dem
vorigen Jahrhundert und aus noch viel frьherer Zeit. und all das
schichtet sich hier gleichsam aufeinander und bildet so das
unvergleichliche Kolorit der mittelalterlichen Stadt. Aber vor uns
liegt der Platz.
Zwei herrliche Kirchen, die Farnyj (Pfarrkirche) und die Bernadinskij,
umschlieяen gleichsam auch heute noch den Platz von zwei Seiten.
Eigentlich sind es gar keine Kirchen, sondern ganze Komplexe, von
denen jeder seine eigene Architektur und Geschichte besitzt.
Das Kloster der Bemardiner und die dazugehцrige
Kirche sind auch heute der grцяte und in sich abgeschlossenste
Architekturkomplex, und gerade diese Gebäude verleihen,Ч hoch über
dem Njoman und der Stadt stehend, der Silhouette von Grodno ihre
Einmaligkeit und Schцnheit. Der vierstцckige Glockenturm, der sich
zwischen der Kirche und dem Kloster befindet, die Kirche selbst, eine
dreischiffige Basilika mit sechs Sдulen, in der sich die Gotik,
Renaissance und der Barock vereinen, und auch der ursprьngliche
Klostertrakt kann man als ein Ganzes betrachten. Es lohnt sich, in die
Kirche hineinzugehen. Hier findet man kьnstlerisch sehr wertvolle
Holzschnitzereien. Skulpturen. Freskenmalereien, die weit spдter als
zu der Zeit, da der Bau errichtet wurde, schon im XVIII. Jahrhundert,
aufgetragen wurden (die Kirche selbst und das Kloster wurden im
Zeitraum von zwei Jahrhunderten gebaut, vom XVI. bis zum XVIII.).
Natьrlich hat eine solch lange Bauzeit ihre Auswirkungen auf das дuяere
Erscheinungbild des Komplexes hinterlassen: In dieser Zeit haben sich
nicht nur die architektonischen Prinzipien, sondern auch
die politische Lage oftmals geдndert. Das Jahr des Baubeginns. 1595, war das Jahr vor der Kirchenunion in
Brest, nach der Unierung, die bereits in Lublin vereinbart worden war
und die die Einwohner des Litauischen Groяfьrstentums auf
unterschiedliche Weise betrachteten: Die einen hofften, daя die
unierte Kirche die nationale Religion wird und die Belorussen
zusammenbringt; andere sahen in ihr ein Mittel des Verschmelzens
zweier Vцlker, von Belorussen und Polen; die dritten traten eifrig fьr
die Unversehrtheit der Orthodoxie ein und argwцhnten, daя die
Unierung nur ein Mittel fьr die weitere Vernichtung der Selbstдndigkeit
des groяen belorussisch-litauischen Staates sei. Und hier. in diesen
Mauern, gingen einst die Leidenschaften hoch her, wie das auch heute
noch der Fall ist: Wird es einmal auf belorussischem Boden eine eigene
belorussische Kirche geben?
Der berьhmte belorussische Kulturforscher Wazlaw
Lastowskij schrieb in seiner ЂKurzen Geschichte von Belarusї: ЂDie
Brester Union verlief in vцlliger Uneinigkeit der Bevцlkerung und
nahm einen Kurs, der mit nationalen Zielen nichts gemeinsam hatte. Das
war ein groяer Fehler. Das merkten sogar spдtere katholische
Historiker, und sie sind ungehalten gegenьber den damaligen
ЂMissionarenї. Sie meinen, daя sie fьr ihre
Arbeit unter den Belorussen vцllig unvorbereitet gewesen seien, weil
sie sich nicht auf das Nationalgefьhl des Volkes stьtzten, sondern
gegen es arbeiteten, es polonisiertenї. Und weiterfьhrt Lastowskij
die Worte des katholischen Geistlichen Kaiinka an: ЂAlle Vцlker sind
von Gott geschaffen, sind Gott lieb, und sie alle kцnnen, ohne ihr
Nationalgefьhl zu verlieren. Mitglieder einer kirchlichen Gemeinde
sein.ї
...Und das alles hat unmittelbaren Bezug zu dieser Kirche, die hier
steht, auf dem Platz in Grodno. Die religiцsen und politischen Wirren
untergruben die Macht der Rzeczpospolita, und die Sache, die die
Jesuiten so erfolgreich begannen, wendete sich ironischerweise im
Laufe der Geschichte gegen sie selbst: Der Orden wurde schlieяlich
verboten, die Rzeczpospolita fiel auseinander, belorussisches Gebiet
ging an Ruяland, und das Volk durchlebte zum wiederholten Male
Gewalttдtigkeiten: den erzwungenen Austritt aus der Union, an die 243
Jahre auf belorussischem Gebiet festgehalten worden war, und den
Anschluя an die Orthodoxie. Die Polen jedoch durchlebten ihrerseits
eine nationale Erniedrigung, ьber die in seinen Versen und Poemen der
herausragende Sohn unserer beiden Vцlker, Adam Mizkewitsch, viel
schrieb.
Also, wir stehen an dem Komplex der Pfarrkirche (Farnyj kostjol) und
des Klosters, das in der Vergangenheit wohl das reichste und
bekannteste auf dem Gebiet des Groяfьrstentums Litauen-Ruяland-Shemojtskoje
war, eines Teils der ehemaligen Rzeczpospolita. Einst war hier eine
berьhmte Uhr. die im vergangenen Jahrzehnt wiederhergestellt wurde.
Dieses bemerkenswerte barocke Architekturensemble ist ein Denkmal aus
zwei Jahrhunderten. Einst befanden sich hier das Kollegium, eine
Bibliothek und daneben Ч eine mittelalterliche Apotheke. Einem
Voraltar in der Kirche sind lange Beschreibungen begeisterter Kenner
gewidmet. Dieser Voraltar symbolisiert in seinem Wesen die Arche
Noahs. №berhaupt
sind in Belarus Voraltдre in Form eines Schiffes bekannt(die Kirche
des hl. Andreas in Slonim, in der Form einer umgestьlpten
Glocke, die Verwandlungskirche (Preobrashenskij kostjol) im Rajon
Baranowitschi usw. Hier, in der Jesuitenkirche, wurde der Voraltar in
Form einer Muschel gestalte t(Sofort erkennt man den zierlichen Stil
des Rokokos des XVIII Jahrhunderts), und der Baldachin ist mit reichem
Schnitzwerk verziert, mit Gestalten von Engeln, Putten und auch der
Evangelisten.
So kann man diese Kirche stundenlang betrachten.
Auch hier sind verschiedene Epochen und Stile miteinander verwoben.
Der Hauptaltarwurde aus Holz gefertigt, das wie Marmor aussah. Die
Zeit. als er entstand, war die Zeit des Spдtbarocks, wдhrend die
Seitenfassaden Zьge des Frьhbarockї tragen. In den Nischen der
Kirche befinden sich 14 thematische Darstellungen, die dem heiligen
Franz Xaver, dem Patron dieser Kirche, gewidmet sind. Die
Freskenmalereien stammen aus der Mitte des XVIII. Jahrhunderts. Die
wunderbaren Reihen der aus Holz gearbeiteten Ikonenwдnde... Die
reinen, klaren und. fast mag es scheinen, singenden Farben der
Fresken,Чdies alles läßt den Betrachter vor ihnen verweilen, um
sie lange Stunden mit Vergnьgen zu betrachten...
Dieser Komplex nahm einmal ein ganzes Viertel ein, aber heute wird nur
ein Teil zweckmдяig genutzt. Einen letzten Blick werfen wir auf die
wunderschцne Orgel, auf der einst, wie ьberhauptet wird. der Sдnger
und Komponist lochim Glinskij (1853Ч1898) spielte und die reich mit
barocken Verzierungen geschmьckt ist. Langsam gehen wir nun um den
Gebдudekomlex herum, schauen hin und wieder in die alten engen Gдяchen
hinein, die, eine nach der anderen, gleichsam gegen die steinernen
Mauern des Klosters stoяen. Beim Ausgang erblicken wir immer
deutlicher das Hдuschen, in dem einst eine Apotheke war. Hier, beim
Kollegium, gab es zwischen 1651 und 1754 auch ein Schultheater, das im
alten Belarus ziemlich bekannt war.
Nicht weit von hier entfernt befindet sich auch das
Brigidenkloster und die dazugehц rige Kirche, die von 1634 bis 1642 im
Stil des frьhen Barocks errichtet wurden. Aber Kenner entdecken in
den architektonischen Linien ein Abweichen von den klassischen Formen,
was der Kirche ihre Einmaligkeit verleiht. Sie hat zwei schцn geschmьckte
Eingдnge, achtflдchige Tьrme an den Ecken und eine hohe. fast fьnf
m hohe Wand.
Im Inneren hat sich der sogenannte ЂLjamusї erhalten, ein Holzhaus,
wo die Nonnen des Brigidenordens lebten,Чein sehr originelles Gebäude
aus der Zeit vom Ende des XVII. Jahrhunderts.
Man sollte daran erinnern, daя im XVI./XVII. Jahrhundert in Belarus
18 Mцnchsorden und 7 Orden fьr Frauen existierten, die meisten davon
katholische. Es gab auch Moscheeen. Synagogen und protestantische
Kirchen (z.B. die berьhmte kalvinistische Kathedrale in Smorgon.)
Von hier wollen wir
in Richtung des alten Grodnoer Stadtgebietes gehen, das eng mit der
interessanten historischen Persцnlichkeit Antonih Tysengaus verbunden
ist. Aber zunдchst wollen wir in der Elisa-Oshetschko-Straяe
Halt machen, wo auf einem kleinen Platz ein Denkmal und nicht weit
davon entfernt das Hдuschen steht, in dem die Schriftstellerin lange
Jahre wohnte.
Diese in ihrer Zeit bekannte Schriftstellerin war eine glьhende
Patriotin der Stadt. Wдhrend einer groяen Not, die sie erleiden muяte,
wandte sie sich an die Menschen Europas um Hilfe,Ч und die Hilfe
wurde ihr gewдhrt. Als in der Stadt bekannt wurde, daя Elisa
Oshetschko sehr krank war (sie starb 1910), legte man vor ihrem Haus
Stroh aus, damit die vorbeifahrenden
Pferdefuhrwerke keinen Lдrm machen und sie nicht stцren
sollten. Sie war nicht nur eine polnische Schriftstellerin, die mit
groяer Verehrung und Liebe ьber die Belorussen schrieb, sondern sie
stand auch mit der Gruppe um R. Traugut in Verbindung, der wдhrend
des bekannten Aufstandes gegen den Zaren von 1863/64 in Polen und
Belarus aktiv war. Nicht zufдllig ist eine der Hauptstraяen der
Stadt nach ihr benannt.
Hier, in dieser Straяe, findet man Hдuser, die ebenfalls
Architekturdenkmдler des XVIII. und des Beginn des XIX. Jahrhunderts
sind. Eins davon, das Haus mit der Nummer 37. das.1765.Ч früher als
alle anderen-, errichtet wurde, hat den Namen des Architekten J.
Mjoser bewahrt und ist als ЂHandwerkerhausї (dorn remeslennika)
bekannt.
Derselbe Architekt hat auch Schankstuben in Grodno gebaut, die als Ђkortschmyї
(Kneipe) bezeichnet werden. Die Beschreibung einer solchen Ђkortschmaї
mit dem bezeichnenden Namen ЂGaletschaї (Armut) ist uns erhalten.
Unweit der Oshetschko-Straяe befindet sich der
Platz, der bis heute die Bezeichnung ЂLeninplatzї (plostschad
Lenina) trдgt. Er ist an der Stelle von einem der bekanntesten Winkel
der Altstadt, der Gorodniza, entstanden.
Den halbrunden Platz umgibt auf der einen Seite das
ehemalige Haus des Vize-Gouverneurs (zweite Hдlfte des XVIII.
Jahrhunderts) und das ehemalige Musik-Gebдude, das aus der Zeit der
siebziger Jahre des XVIII. Jahrhunderts als Ђkriwaja ofizinaї
(kriwoj-krumm) bekannt war, weil es eine gewцlbte Form hat. Auf der
anderen Seite des Platzes befindet sich das ehemalige Theater
Tysengaus.
Mit diesem Theater verbinden sich die Namen der ЂPremierenmusikї,
und zwar des talentierten Geigers und Dirigenten L. Sitanski}. der
nach A. Tysengaus Plan im Jahre 1772 nach Europa mit der Absicht
geschickt wurde, die besten Vertreter der damaligen Theater- und
Musikwelt nach Grodno einzuladen. Und tatsдchlich arbeiteten 1776 am
Theater bereits fьnfzehn Auslдnder; unter ihnen waren G. Campanucci.
die Sдngerin K. Banafini und der Sдnger J. Gibler. Der litauische
Unterkдmmerer und Hauptadministrator von Grodno. A. Tysengaus, lud
sogar den franzцsischen Philosophen und Schriftsteller J.J. Rousseau
nach Grodno ein und verpflichtete sich, ihm alle Auslagen zu bezahlen.
Die Ballett-Truppe
des Theaters unter der Leitung G. Petinettis erlangte 1779 ein hohes kьnstlerisches
Niveau und zдhlte zu dieser Zeit mehr als 30
Mitglieder. Es
wurden Opern aufgefьhrt, Ballette und Komцdien. Zu den aufgefьhrten
Stьcken zдhlten ЂDer Barbier von Sevillaї von Beaumarchais sowie
Opern von A. Sacchini und P. Gulielmi.
Neben dem Theater war der Park von Tysengaus, an den
sich ein weiterer Park anschloя, ein ehemaliger Botanischer Garten,
der von dem bekannten franzцsischen Gelehrten und Mediziner G.
Gilbert angelegt wurde, der im Jahre 1774 von London hierher kam. Im
Prinzip ist dies der erste Botanische Garten eines solchen Standards
in der Rzeczpospolita...
Also arbeiteten in Grodno des XVIII. Jahrhunderts Fachleute aus ganz
Europa, so auch der Ballettmeister Ledu, der deutsche Chemiker Mьnz.
der Mathematiker und Astronom F. Narwoisch. Und das war fьr die
Talente dieses Landes eine groяe Hilfe. So war Marjana Malinskaja
(geb. um 1767), eine Leibeigene aus dem Polesje-Gebiet, Primaballerina
und eine Berьhmtheit des Tysengausschen Theaters. №brigens wurde sie
spдter Tдnzerin im Kцniglichen Warschauer Ensemble.
...Von hier kann man Ч über die Gorodniza Ч über neue Straßen
von Grodno zur Neuen Brьcke fahren, um dort. nach №berquerung des
Njoman, die Kaiosha, jene wundervolle alte Kirche, von einem anderen
Blickwinkel anzuschauen. Und wдhrend der Bus durch die Straяen fдhrt,
lohnt es sich. eine alte Legende ьber den Njoman in Erinnerung zu
rufen, jenen Fluя, dessen №berquerung im Jahre 1812 fьr Napoleon
den baldigen Untergang seines hellen Sternes bedeuten sollte: ЂVor
langer, langer Zeit erblickte unter einem riesigen Stein hervor, dort.
wo eine Quelle hervortritt, ein Recke namens Njoman das Licht der
Welt. Er war sehr schцn und fleiяig. In der Nдhe wohnte die schцne
Loscha. Sie war faul und launisch. Warum Njoman sie liebte, ist ein
Rдtsel, aber auf ihrer Hochzeit waren alle ihre Nachbarn anwesend:
Sula, Usa, Usdjanka, Stschara (Anmerkung: Namen von Flьssen, die in den Njoman
mьnden.). Die Hochzeit war wunderschцn doch als der Alltag
begann, wollte Loscha nichts tun. Und Njoman konnte sich nicht den
Menschen nьtzlich machen, wie er es frьher gewohnt war zu tun.
Das konnte Njoman nicht lдnger aushallen. Er beschloя, der
launenhaften Schцnheit davonzulaufen. Und in einer dunklen Nacht
ergriff er die Flucht.
Loscha erwachte, begriff sofort alles und stьrzte dem Recken
hinterher. Sie wollte ganz und gar nicht einen solchen Mann verlieren.
Sie holte ihn bei dem kleinen Ort Pesotschnoje ein und warf sich ihm
mit Trдnen an seine Brust. Njoman hatte Mitleid mit ihr, und sie
liefen erneut gemeinsam ihren Weg, hin zum Meer, damit Schiffe mit
Lasten auf ihnen fahren konnten..."
Die Namen der berьhmten Sцhne und Tцchter dieser Stadt, aufzuzдhlen, wьrde
zu lange dauern. Derer gibt es sehr viele. Wir wollen nur einen erwдhnen,
dessen Werke fast alle ins Deutsche ьbersetzt worden sind. Es ist der
belorussische Schriftsteller Wasil Bykau, dessen schцpfenscher
Werdegang sich hier vollzog, der lange Jahre bei der lokalen Zeitung
arbeitete und der, obwohl er alle Schikanen eines totalitдren Regimes
an sich erfuhr, seine schцpferische lebendige Seele und sein
gewaltiges Talent zu bewahren vermochte.
Diese Stadt an der Westgrenze von Belarus verdankt ihre poetische
Schцheit vor allem ihrem Alter, das sichtbar erhalten geblieben ist
und heute Dichtem und allen, die hierher kommen, um fьr sich unser
Belarus zu entdecken, als Inspiration dient.
Neswish 
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