
Wenn ьber eine Stadt geschrieben wurde, besteht die Gefahr, daя
ihr, wie auch anderen Dingen auf dieser Erde, Schablonen angehдngt
werden. Der Besucher prдgt sich diese merkantil-gдngige
Betrachtungsweise ein und verliert die Fдhigkeit, daя, was andere
vor ihm empfunden haben,neu fьr sich selbst zu endecken.
Der vorliegende Bildband will versuchen, Bekanntes aufzufrischen
und gleichzeitig auf unbeachtet gebliebene Aspekte hinzuweisen.
Eine Stadt ist kein Postkartenklische und mit seltenen Ausnahmen
auch kein Museum. Doch Die Geschichte der Stadt? Wenn man das schцne
und Anmutige in vollen Zьgen in sich aufnimmt, sollte man nicht gдnzlich
auяer acht lassen, daя vieles,was uns heute erfreut, unter Qualen
und Opfern von den damaligen Zeitgenossen geschaffen wurde. Im ьbrigen
stellt eine Stadt ein lebendiges, sich stдndig verдnderes Wesen dar,
in das man will sein eigenes Lebensgefьhl steigern und etwas
Bleibendes mit fortnehmen frohgemut und vorbehaltes eintauchen sollte.
Houston Stuart Chamberlain sagt in seinen Grundlagen des
Jahrhunderts "Geschichte im hцheren Sinn des Wortes ist einzig
jene Vergangenheit, welche noch gegenwдrtig im Bewuяtsein der
Menschen weiterlebt".
Lida ist eine Stadt, die mehr als Krewo oder Iwj'e begьnstigt
wurde. Auch heute ist Lida eine ziemlich groяe Stadt in Belarus, in
ihr leben mehr als 50 000 Einwohner.
Natьrlich ist die bedeutendste Sehenswьrdigkeit in Lida das Schloя.
Leider blieb davon nur die Sьdmauer und ein Teil der Tьrme erhalten;
das Schloя selbst wird gegenwдrtig restauriert. Es wurde unter Fьrst
Gedimin erbaut. Der Bau wurde im Jahre 1323 an der Stelle begonnen, wo
die beiden Flьsse Kamenka und Lideja (der der Stadt den Namen gab)
zusammenflieяen. Zum Zweck des Baus dieses Schlosses wurde eine kьnstliche
Insel aufgeschьttet, und ein groяer Graben wurde errichtet, mit
dessen Hilfe die Nordseite verteidigt wurde. Die Mauern des Schlosses
waren mдchtig, ungefдhr 3 m dick, und erhoben sich 12 m in die Hцhe:
Fьr seine Zeit war das ein дuяerst modernes Verteidigungssystem,
wobei alle neuesten Vorrichtungen und Methoden verwendet wurden. Bis
heute haben die Schloяmauern,-- nach so vielen Kriegen und Versuchen,
das Schloя zu zerstцren, ihre drohende Grцяe erhalten... In einem
der Tьrme befand sich die Kirche Georgs des Siegreichen (zerkow
Georgija Pobedonosza) und im anderen -- das Gefдngnis. Hier waren
auch das Schloяarchiv untergebracht und der Gerichtssaal. An der
Ostseite sowie der Sьdostseite schloя ein groяer kьnstlicher See
an das Schloя an.
Die Stadt selbst dehnte sich nach Norden hin vom Schloя aus. Hier
befand sich spдter der Fьrstenhof, und von ihm fьhrte die Schloяstraяe
in das Schloя.
Nach dem Tod von Groяfьrst Gedimin ging der groяfьrstliche
Besitz von Lida an seinen Sohn Olgerd ьber (nach der Taufe: Dimitrij)
und gelangte spдter in den Besitz seines Lieblingssohnes Olgerd
Jagajia was im Grunde ein Beweis fьr die Bedeutung der Stadt gelten
kann. Jedoch hatte Olgerd, wie wir schon sagten, 12 leibliche Sцhne.
Unter ihnen entstanden Streitigkeiten um den Besitz und das Erbe, was
die Kreuzritter fьr ihre Zwecke nutzten. Zum Beispiel kamen zusammen
mit Witowt deutsche und englische Ritter gen Lida gezogen, unter denen
GrafNorthumberland, aber auch der Ordenskommandeur Konrad Lichtenstein
waren. Im Winter des Jahres 1394 wurde der Marsch wiederholt, aber
wenn auch beim erstenmal das Kriegsglьck auf der Seite der Ritter
stand, so gelang es beim zweiten Mal nicht, den.
Feldzug erfolgreich abzuschlieяen. №brigens befanden sich
in eben diesem Schloя die Verwandten und die Frau des Smolensker Fьrsten
Jurij. die von Witowt gefangengenommen wurden. Jurij gelang es nicht,
sie zu befreien, obwohl er mit einem groяen Trupp hierher gezogen
war. Die Bewohner von Lida verteidigten sich tapfer, und als Krieger
waren sie hervorragend.
Das Lidaer Kriegsbanner kдmpfte auch zusammen mit allen anderen
Bannern des Groяfьrstentums Litauen im Jahre 1410 bei Grьnwalde und
kehrte mit groяem Ruhm zurьck. №brigens hieя die Straяe, die nach
Westen fьhrte, ьberWilnja, die Hauptstadt des Fьrstentums, eben
Wilenskaja.
Wдhrend des Krieges mit Moskau in der Mitte des XVII. Jahrhunderts
wurde das Schloя beschдdigt, und das Unheil ging noch weiter: Anfang
des XVIII. Jahrhunderts wurden wдhrend des Krieges gegen die Schweden
seine Tьrme gesprengt. Und im XX. Jahrhundert war hier wдhrend des
Krieges sogar ein Munitionslager untergebracht, das lange Zeit vermint
war.
Die Stadt erhielt am 17. September 1590 das Magdeburger Stadtrecht.
Das Wappen war ein in zwei Teile geteiltes Schild. Der rechte war rot,
mit einem goldenen, nach rechts gewandten Lцwen, die linke war
hellblau und stellte zwei gekreuzte Schlьssel dar. Zu jener Zeit
wurde die Stadt eines der Zentren der Woewodschaft Wiinja. und zu eben
dieser Zeit wurde im Schloя ein Bau eigens fьr die Gerichtsbьcher
errichtet.
Aus den vergangenen Jahrhunderten ist in Lida auяer dem
Schloя eine imposante Barockkirche (1770), mit dem Namen Farnyj
kostjol erhalten geblichen. №brigens wurde in ihr 24 Jahre iang fьr
die in dem berьhmten Aufstand des Tadeusch Kostjuschka, eines gebьrtigen
Belorussen, Geretteten gebetet. Der Aufstand war gegen die
Expansionspolitik des russischen Zarismus gerichtet, fьr die
Wiederherstellung der Rzeczpospolita und -- entsprechend -- des Groяfьrstentums
Litauen.
Mit dieser Kirche lagen lange Zeit die atheistischen Machthaber im
Kampf: In den 70er Jahren wurde ein Vorwand fьr ihre Schlieяung
gefunden. Es zeigte sich, daя das Gebдude fast um einen Meter ьber
die fьr die stдdtische Straяe vorgesehene Grenzlinie herausragte.
Man bot an, die Kirche zu verlegen. Die verzweifelten Anstrengungen
der Einwohner retteten sie, und ihnen ist es zu verdanken, daя wir
uns auch heute an dieser dreischiffigen Kirche erfreuen kцnnen, wo
neben dem Eingang ein kleiner Vorbau untergebracht ist, und auf der Sьdseite
eine Sakristei. Das Tor zu retten gelang allerdings nicht.
Mehr Glьck war der Josefskirche der Piдristen beschieden: In ihr
wurde ein Planetarium untergebracht, und da diese Kirche im
klassizistischen Stil erbaut war (von 1797 bis 1825), existiert sie
bis heute, und in vielen Bьchern kann man ihre Darstellung finden:
ein Rundbau, in dessen Kuppel sich ein achtflдchiger Glasstein
befindet, an den Seiten aber sind rechtwinklige Aufbauten mit
dorischen Sдulen. Neben der Kirche befindet sich ein Kloster, in dem
einmal Piaristenbrьder lebten. Dort steht auch ein Glockenturm
(swanniza).
Das Museum, das hier 1959 erцffnet wurde, erlebt gerade eine
Erneuerung, wie ьberhaupt die gesamte belarussische Geschichte, die
neu geschrieben wird (oder genauer: richtiggestellt wird). Es gibt
zahlreiche Ausgrabungen beim Schloя von Lida. Die bedeutsamsten
wurden von dem belorussischen Archдologen 0. Trusow vorgenommen.
Heute nehmen sie im Museum immer mehr von dem Platz ein, der frьher
vorrangig Exponaten des letzten Krieges und der Sowjetzeit vorbehalten
war. Heute werden hier jedoch auch Materialien ьber den berьhmten
Aufstand der Jahre 1863/64 gegen den Zarismus ausgestellt, den in
Belarus der ruhmreiche Sohn unseres Volkes Kastus Kalinowskij, gebьrtig
aus der Stadt Grodno anfьhrte. Er ist auch dadurch bekannt, daя er
die erste demokratische Zeitung in Belarus herausgab, und als er als
ЂAdliger Kalinowskijї zum Tod durch den Strang verurteilt wurde,
starb er mit den Worten. ЂEs gibt keine Adligen, alle Menchen sind
gleich.ї
In Lida, wie ьberall in unserem Land, war das Handwerk hoch
entwickelt, hier aber war die Art des Bemalens von Truhen, in denen
Kleidung aufbewahrt wurde (eine Art Mitgift fьr die zukьnftige
Braut), besonders originell. Die Truhen waren sehr schцn, die Farben
verliehen ihnen in Verbindung mit der Holzschnitzerei ein originelles
Aussehen, und nicht umsonst wurde bei der Hochzeit, wenn die Braut
gebracht wurde, die Truhe als Teil der Mitgift zur Betrachtung durch
jedermann ausgestellt...
Einmal geschah es just hier in Lida. daя der Groяfьrst und Kцnig
Jagajia eine Anordnung erlieя, nach der heidnische Brдuche und
alles, was mit ihnen zusammenhing, verboten waren. mit der Absicht,
die Einwohner dazu zu zwingen, mцglichst schnell das Christentum
anzunehmen (Damals handelte es sich um den Katholizismus). Aber bis
heute haben sich auf den Truhen sowohl Sonnenomamente, als auch
wellenfцrmige Symbole von Schlangen und Nattern erhalten. №brigens
war gerade hier im Grodnoer Gebiet, dem Zentrum des in Chroniken
beschriebenen Litauens, einst der Brauch verbreitet, im Hause Nattern
zu halten. Sie wurden mit Milch ernдhrt, und sie fьhlten sich wie
vollberechtigte Familienmitglieder... Hier ist eine ьberlieferte Erzдhlung
ьber Nattern (In belorussischen Legenden gibt es zahlreiche Erwдhnungen
von Schlangen, und unter den archдologischen Funden gibt es viele
Armreife aus Serpentinstein): ЂFriedlich lebt die Natter bei den
Litauern. Sie beiяt keinen, sie kriecht im Haus vertraut herum, und
sobald die Kinder die Lцffel in die Hand nehmen, kriecht sie
augenblicklich zu ihnen und streckt ihr Maul zur Schьssel hin.
Mitunter versetzt ihr ein Kind einen Klaps mit dem Lцffel. Das macht
ihr nichts aus: Die Natter zischt, kriecht fьr eine Minute davon, um
sodann auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. In wessen Haus eine
Natter lebt, dessen Haus werden Wohlstand und Glьck zuteil.ї
Diese Besonderheit ist eine von vielen, die Zeugnis ablegt ьber
unser jahrhundertelanges Zusammenleben mit den Balten, ьber die
gegenseitige kulturelle Durchdringung...
Gerade deshalb bewahrt das Grodnoer Gebiet immer noch seine
Eigenart, sein, wie unsere Historiker sagen, Ђbaltisches Substratї,
auf dem die Slawen ihre eigene Kultur und ihre eigene Geschichte
geschaffen haben.
Grodno 
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