Also Ч auf dem Kilometerstein 100 der Brester Chausseee steht der
Hinweis: Mir. Einige Kilometer rechts ab,Ч und am Horizont tauchen
die mit roten Dachziegeln gedeckten Tьrme des Schlosses von Mir auf.
Es sind vier an den Seiten und einer ьber dem Eingang. Einstweilen
sind zwei Tьrme restauriert, in einem wurde 1992 eine Ausstellung erцffnet.
Die Bezeichnung der
Stadt Mir (ЂMirї hat in den slawischen Sprachen auяer seiner
Grundbedeutung
ЂFriedenї auch die Bedeutung ЂGemeinschaft /Gemeinde von Menschenї)
ist eng mit der Geschichte des Schlosses verbunden... Zum erstenmal
wird der Name 1395 erwдhnt. Damals fielen Kreuzritter, deren Anfьhrer
der Groяmeister des Teutonischen Ordens
Konrad von
Jungingen war. nach einem erfolglosen Versuch, Nowogrudok einzunehmen,
über weniger befestigte Städte her Ч Mir und Lida, und zerstörten
sie. Der erste Besitzer von Mir war der Bojar Senka Gedygoldowitsch
dem der litauische Groяfьrst Sigismund Kejstutowitsch und danach die
Fьrsten Ilinitsch die Stadt schenkten.
Zu Zeiten des Enkels des ersten llinitsch Jurij. ging Mir, und zwar
im Jahre 1555, in die hier geschaffene Grafschaft ein. Nach 13 Jahren,
als Jurij starb, ging diese Grafschaft nach Jurijs Vermдchtnis,
zusammen mit dem Schloя, an das Geschlecht der Radziwills ьber.
In jenen Zeiten war das eines der berьhmtesten Geschlechter von
Großgrundbesitzern, und es existierte die Redensart: ДBesser als
Radziwill geboren zu werden, denn als ein König.У
Die Vermдchtnisurkunden der beiden llinrtschi sind erhaken
geblieben. Hier ist ein Auszug aus einer, die in altbelorussischer
Sprache geschrieben und von Kцnig Shigmont (Sigismund) bestдtigt wurde:" ...Der Starost von Berestje. der
verstorbene Pan Stschasnyj Jurewitsch llinitsch, hat auf seinem
Totenbett, guten Gewissens und bei vollem geistigen Bewuяtsein,
freiwillig und ohne jeglichen Zwang von irgend einem Menschen, nach
seinem Tod testamentarisch seinen Sohn Jurij zum Erben
bestimmt..." Gleichzeitig kann man Ч sogar in den allerletzten
über Mir erschienenen Büchern Ч Ungenauigkeiten derart lesen, daß
die Stadt und das Schloя litauischen Feudalherren gehцrt hдtten.
Das sind letzte Spuren des Totschweigens und Absprechens einer eigenen
belorussischen Geschichte...
Der erste der Radsivills begann auch in Mir das festungsartige
Schloя zu bauen, das wir gegenwдrtig kennen.
Jene Zeit war sehr unruhig: Krimtataren fielen in vielen Wellen ьber
unser Land her, um sich mit Beute wieder zurьckzuziehen. Wer weiя
wie viele belorussische bzw. litauische Mдdchen damals auf die Krim
entfьhrt wurden, um den Nachkommen der Eroberer Kinder zu schenken.
Es ist kein Zufall, daя es unter unseren Legenden auch diese gibt: ЂDer
Lieblingssohn des Chans erkrankte einmal schwer. Wie viele ƒrzte
mьhten sich ab, ihn zu heilen! Aber alle ihre Anstrengungen fьhrten
zu keiner Besserung. Aber dann versuchte eines der gefangengenommenen
Mädchen ihn zu heilen,Ч und sie heilte den Sohn des Chans mit
einem wundersamen Kraut, das aus ihrer Heimat stammte. Aber
statt einer Belohnung erbat sie sich eines nur.Ч daß der Chan nie
wieder Feldzьge nach Belarus unternehmen sollte...ї
Das Kraut hieя Ђtschabrezї. bis heute heilt es viele
Krankheiten.
Aber die verwegenen №berfдlle wurden bald durch den Sieg des Fьrsten
Michail Glinskij bei Klezk im Jahre 1506 beendet. (Interessanterweise
glauben einige Forscher, daя sein eigenes Geschlecht von dem Tataren
Mamaj abstammt.) Aber nun kam die Gefahrfьr die belorussischen
Gebiete vom Westen her, von den Kreuzrittern, und vom Osten: Der junge
Moskowiter Staat strebte nach einer Ausweitung seiner Machtsphдre
nach Westen. Im XVI. Jahrhundert
begann man
in Mir neue Stadtbefestigungen zu bauen, einen Erdwall mit einer hцlzernen
Mauer und vier rtutetoren dem Schloяtor, dem Wilna-Tor dem Minsker
Tor und dem Slonimer Tor.
Stadt und Schloя waren tatsдchlich eng miteinander verbunden.
Auch deswegen, weil die Einwohner der Stadt, auch wenn sie gewisse
Freiheiten genossen, in fast allem von den Schloяbesitzern abhдngig
waren, was sich auch nicht дnderte, als 1579 Mir teilweise das
Magdeburger Stadtrecht ьbertragen wurde. Nichts desto weniger war
ihre Abhдngigkeit von den Groяgrundbesitzern nicht so vollstдnig
und allumfassend wie beispielsweise im benachbarten Moskau, wo sich
selbst die Angehцrigen des Hochadels vor allem als Ђstaatliche
Leibeigeneї empfanden. Gerade deshalb kam es hier spдter, wдhrend
der gewaltsamen Zerschlagung der Rzeczpospolita am Ende des XVIII.
Jahrhunderts, als die belorussischen Gebiete zum russischen Imperium
kamen, zu Aufstдnden, und lange Jahre gab es einen Kampf um die
verlorenen Freiheiten.
...Die Radziwills
gaben der Stadt und den Dцrfchen um Mir eine fast groяfьrstliche
Pracht. Der erste Besitzer der Grafschaft. Mikolaj RadziwHI Tschornyj
(der Schwarze), gab in Berestje (Brest) auf eigene Kosten eine Bibel
heraus, gründete eine Druckerei in Mir und ließ Ч als Beschützer
des Protestantismus Ч kalvinistische Kirchen bauen. Sein Sohn.
Mikolaj Krischtof Sirotka, war auch ein Mдzen und Schriftsteller, dessen Tagebuch ьber
seine Reise in deri Osten und nach Rom auch heute noch mit Interesse
gelesen wird. Gerade er lud in das Schloя von Mir Baumeister aus
Italien ein, die den Palast im Schloя zu Ende bauten und ihm
romantische und erhabene Zьge verliehen.
Das XVI. Jahrhundert ist auch durch die zьgige Entwicklung einer
groяen Zahl von Handwerksbetrieben gekennzeichnet, die fьr das Schloя
und seine Gдste arbeiteten. Zu jener Zeit begann auch der Jahrmarkt
in Mir eine ьberregionale Bedeutung zu erlangen. Gegen Ende des
Jahrhunderts wurde nach zeitgenцssischen Zeugen auf dem Jahrmarkt von
Mir alles verkauft, was die damalige Zivilisation dem Menschen gab.
Der Ruf їvon den reichen europдischen Geschдften mit ihren ьberseeischen
Seidenstoffen erhielt sich so lebhaft, daя man sogar noch im XX.
Jahrhundert, wenn das edle Frдulein sich verheiraten wollte, sagte:
ЂSie ist nach Mir gefahrenї. Ein eigenartiges Kolorit verliehen die
Zigeuner und ihr Kцnig der Stadt. Man glaubte, daя sich gerade in
Mir gleichsam die ЂHauptstadt der Zigeunerї befinde. Es ist mцglich,
daя eben deshalb hier so viele Pferde verkauft wurden, daя der
Jahrmarkt von Mir auch ЂKonskajaї (Pferdemarkt) genannt wurde. Die Kцnige
der Zigeuner lebten lange in Mir. der letzte von ihnen ein gewisser
Martinewitsch, starb im Jahre 1790.
Zu Zeiten, von Sirotka wurden das Rathaus gebaut, das Hospital, die
orthodoxe Dreifaltigkeitskirche (Troizkaja zerkov; 1582) und die
Kirche des hl. Mikolaj. №brigens ist Sirotka (kleiner Waise) das
Pseudonym eines berьhmten Magnaten (oder auch ein eigenwilliger
Beiname). Solche Namen erhielten viele Vertreter dieses
Geschlechts,Ч nach einem bestimmten Charakterzug. Sirotka so wurde
erzдhlt, erhielt z.B. seinen Rufnamen so: Wдhrend eines Balls vergnьgten
sich seine Eltern und lieяen ihn mit seinen Kinderfrдuleins allein. Die
atorgrrgen
weg, um sich den Ball anzusehen, und der kleine Mikolaj lag in seinem
Bцttcher und weinte. Das sah der Kцnig und gab ihm darauf
diesen Namen...
Die Kirche des hl. Mikolaj wurde ohne Zweifel zu
Ehren ihres Patrons benannt: Mikolaj Radziwill Sirotka. Jedoch war in
eben dieser Kirche eine Ikone des
hl. Antonij, der bej der Suche nach abhanden gekommenen Dingen
half. Diese Ikone war stets, von sogenannter ЂVotaї umhängt,ЧBitten,
daя der Heilige helfen mцge den verlorenen oder was wahrscheinlichцr
war, gestohlenen Gegenstand wiederzufinden (denn nicht umsonst lebte
der Zigeunerkцnig in der Stadt!). Bei den Kirchen waren In Belarus
gewцhnlich auch Schulen tдtig. Im XVI. Jahrhundert gab es derer
besonders viele, und es waren alle mцglichen: unierte, orthodoxe,
katholische, protestantische...Das Bildungsniveau war ziemlich hoch,
nicht umsonst hatten die Schulabgдnger aus dem Litauischen Groяfьrstentum
freien Zugang zu den Universitдten in Deutschland, Holland oder
Polen. Bei den Kirchen waren auch Armenunterkьnfte, beispielsweise
gab es solche in Korelitschi und Ljubtscha, und beim Dekanat in Zinn.
nicht weit von Korelitschi. gab es fьnf solcher Unterkьnfte. Dies
war ein reiches Dekanat, wo es auch eine umfangreiche Bibliothek von Bьchern
gab die in Wilnja, SuprasI und Lwow. Zentren des damaligen
Buchdrucks, herausgegegeben wurden. Viele Bьcher gab es auch in den
Schulen. №brigens arbeitete und lebte ein gebьrtiger Einwohner von
Mir, der in der ganzen Welt bekannte Philosoph Solomon Majmon, auch in
Deutschland, wo er etwa 20 seiner Arbeiten herausgab.
Es ist bekannt, daß Zinn.Ч heute ein kleines Dorf
Ч im XVI. Jahrhundert ein eigenes Wappen hatte: ein stehendes Ren
mit einem goldenen Kreuz zwischen seinen Geweihgabeln, auf hellblauem
Grund.
Wenn man auf dem staubigen, provinziellen und dem heute eng
erscheinenden Platz in Mir steht, denkt man an jene Zeit, als hier frьhliche
Handwerker mit Gesдngen und Heiligenbildern vorberzogen um das
Osterfest oder Weihnachtsbrдuche zu feiern. Es waren sehr schцne
Feierlichkeiten, mit viel Poesie, Ausgelassenheit und Lichtern.
Handwerksbetriebe gab es viele. Wahrscheinlich gab es kein einziges
Handwerk, das fьr die talentierten Mдnner von Mir zu schwer gewesen
wäre, und die Handwerkerinnungen hatten Ч wie in ganz Europa Ч
ihre eigenen Statuten, strenge Regeln und hohe Anforderungen...
Einst wurden die reichsten Jahrmдrkte hier abgehalten, wo die zwei
Kirchen stehen, die aus der Zeit des
XVI. Jahrhunderts erhalten sind. und gerade hier hörte Ч in einer
nahe gelegenen Kneipe Ч im vorigen Jahrhundert der bekannte
belorussisch-polnische Dichter Wladislaw Syrokomlja die traurige
Liebesgeschichte eines jungen Kutschers. Er schrieb ein Gedicht, das
im Laufe der Zeit ein sehr beliebtes Lied nicht nur in Belarus wurde,
sondern auch in Ruяland, wo die №bersetzung bis heute fьr
russisches Volksgut gehalten wird. Das Lied heiяt ЂAls ich als
Kutscher bei der Post dienteї, und es wird bis heute gesungen...
Mir ist nicht nur mit dem Namen Radziwill verbunden. Sein letzter
Besitzer, Fьrst Wasil Swjatopolk von Mir, lebte in den USA und
Deutschland. Es stimmt leider, daя die Familiengruft seiner Vorfahren
ausgeraubt worden ist; einst ruhten sie in einer kleinen Kapelle neben
dem Schloя. Eben dort befindet sich eine wundervolle
Mosaikdarstellung von Christus. Eine
charakteristische Erscheinung ist es, daя wohin man auch geht seine
Augen den Betrachter traurig anschauen und, so will es scheinen, in seine Seele dringen...
Nach dem zweiten Weltkrieg suchten in dem halbzerstцrten
Schloя die Einwohner von Mir Zuflucht, die den Krieg ьberlebt hatten
und dort Schutz vor Unwetter suchten, weil sie keine Bleibe mehr
hatten. Sie kannten eine Legende: Auf einer der Mauern befindet sich
der steinerne Kopf eines Hammels, und solange er nicht zerstцrt wird.
wird auch das Schloя weiter existieren. Lange Jahre war es in einem
den Zustand, und erst im letzten Jahrzehnt hat man wieder die alten
Mauern verstärkt,Ч vielleicht gelingt es auch, dieses herrliche
Bauwerk belorussischer und italienischer Meister, ein Zeugnis der
Inspiration und der hohen Kultur unserer Vorfahren, vollstдndig zu
erneuern.
Vor uns liegt der Weg nach Korelitschi. Zentrum eines Rajons. 1958
stдdtische Siedlung geworden. (Nach der letzten Zдhlung leben hier 3
700 Einwohner.) Korelitschi wurde an der Rutka gegrьndet.
Seit dem XIV. Jahrhundert ist es aus schriftlichen
Urkunden bekannt. Schon ganz frьh (1505) wurde es niedergebrannt, als
die Tataren hierhin einen kurzen Zug unternahmen. Danach wieder
aufgebaut, wurde es wiederholt erneut zerstцrt, wie so viele Stдdte
und Orte in diesem Gebiet: 1655 und 1706 brannten es die Schweden fast
bis auf die Grundmauern nieder.
Einst war diese Stadt fьr seine Gobelins berьhmt. Heute gibt es
keine mehr im Land, einige befinden
sich in Polen. Die bekanntesten von ihnen stammen aus einer Reihe, die
dem Geschlecht der Radziwills gewidmet war. Wenn man die Gestalten der
Krieger auf dem Gobelin ЂDie Schlacht an dem Fluя Slowetschnaї
genau betrachtet, spьrt man, wieviel Mьhe und Begeisterung in sie
gelegt wurde. Aber auch Kraft... Nicht umsonst waren doch damals nur Mдnner
Gobelin-Knьpfer. ...Heute werden ьbrigens bei uns in Belarus die grцяten
Gobelins in der Welt gewebt. Einer davon, die Arbeit des bekannten Kьnstlers
Kistschenko, wurde zum Besichtigungsziel in den Vereinten Nationen. In
der Umgebung von Korelitschi gab es einst Porzellanmanufakturen, wo
man herrliche Sachen aus Fayence hergestellt hat, auch gab es Werkstдtten
zur Herstellung von kьnstlerischen Glaserzeugnissen. Selbst №berreste
davon, die in Museen zu besichtigen sind, beeindrucken den Betrachter.
In der Umgebung von Korelitschi gibt es ein Dorf mit der alten
slawischen Bezeichnung ЂTurezї (von dem Namen des Tieres Ђturї
(Auerochse)). Der Name des Dorfes wird auch seit dem XIV. Jahrhundert
in Chroniken erwдhnt, aber aus den vergangenen Jahrhunderten hat sich
von dem Dorf nur die schцne Schutzkirche erhalten, ein Denkmal aus
der zweiten Hдlfte des
XIX. Jahrhunderts.
Alle Reisenden, die weiter reisen, in das alte Nowogrudok, kцnnen
ihre Kuppeln schon von weitem sehen.
Nowogrudok 
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